Warum ich dabei bleibe
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When day comes, we ask ourselves,
where can we find light in this never-ending shade?
The loss we carry,
a sea we must wade.
Diese Zeilen sind der Anfang eines
Gedichtes von einer jungen Frau, Amanda Gorman. Das Gedicht heißt "The Hill we
climb" und wurde vorgetragen bei der Amtseinführung von Präsident Biden.
Wo nur, in diesem endlosen Schatten,
finden wir Licht?
Es klingt wenig hoffnungsvoll. Aber wir
kennen das Gefühl sicher alle. Ganz offensichtlich natürlich bezogen auf Corona
- hatten wir nicht alle gedacht, mit dem Start der Impfungen geht es vorbei? Und
jetzt, Sorgen wegen der Mutation - da kann man sich schon fragen, wo wir Licht
finden.
Ich frage mich ähnliche Dinge bei so
Manchem. Klimawandel - wo ist da Licht zu finden, ein Umdenken?
Syrien, der Jemen, Afghanistan - ist da
irgendein Licht am Horizont?
Bestimmt gibt es auch so manche
persönliche Situation, die ganz und gar ausweglos erscheint. Und für mich
besonders schmerzhaft: wo finde ich noch Licht für meine Kirche? Das eine
Desaster ist noch nicht einmal halb verdaut, da kommt schon der nächste Skandal,
der nächste Fall von Missbrauch, von dem man erfährt, die nächste
Unaufrichtigkeit derer, die eigentlich endlich rückhaltlos aufklären wollten.
In einer der WhatsApp-Gruppen, in denen
ich unterwegs bin, tauchte irgendwann die Tage ein Bild von einem Kardinal auf,
darunter der Spruch: Bis zum Sommer werden wir jedem Katholiken ein Angebot zum
Kirchenaustritt machen können.
Zuerst habe ich gelacht, kurz danach war
mir eher zum Weinen zumute. Ich möchte eigentlich nicht, dass so viele austreten
und die Kirche in Bedeutungslosigkeit versinkt, in selbstverschuldeter noch
dazu. Und es ist ja nicht so, dass nur die austreten, die den Bezug zum Glauben
verloren haben. Viele fühlen sich hinausgedrängt und vertrieben. Und es ist ja
nicht so, als hätte ich nicht auch schon meine Zweifel gehabt, dass das nochmal
was werden kann mit der römisch-katholischen Kirche. Was mich noch härter
trifft, ist die anscheinende Gleichgültigkeit, mit der manche Verantwortliche
auf diese Austrittswelle, auf die Zweifel und die Wut der Christen, nun, eben
nicht reagieren.
Das Gedicht bleibt nicht in der
Hoffnungslosigkeit stecken. Es heißt bestimmt nicht umsonst "The Hill we climb".
Der Hügel, den wir erklimmen, ist vielleicht mal steil oder der Weg anstrengend.
Aber es geht aufwärts, dem Himmel entgegen. Ich glaube immer noch, dass unser
Leben letztendlich von Gott getragen dem Himmel entgegengeht. Und was die Kirche
angeht: Konflikte um die Verkündigung, um Lehrsätze und Glaubenswahrheiten, sind
in etwa so alt wie die Kirche selbst. Schon immer haben Menschen um den Glauben
gerungen. Die Geschichte des Christentums und der christlichen Theologie ist, ob
es Manchem nun gefüllt oder nicht, eine bewegte Geschichte, in der theologische
Ansätze geformt, verändert, manchmal auch verworfen wurden. Es bleibt als
unveränderliche Wahrheit: Jesus Christus.
Die Geschichte der Kirche war auch schon
vor den Missbrauchsskandalen nicht frei war von Leid, das Menschen im Namen des
Glaubens zugefügt wurde - oder von denen, die ihre Macht als Würdenträger der
Kirche missbrauchten.
Und trotzdem gab es immer und gibt es bis
heute Menschen, die aufrichtig versuchen, im Namen der Kirche und des Glaubens,
das Licht Christi und die Liebe Gottes zu den Menschen zu bringen, die helfen,
ohne zu fragen, was es sie kostet, die für andere da waren, die versuchten,
Gerechtigkeit für die Schwachen zu erwirken.
Das prägte das Bewusstsein von einer
sichtbaren und einer unsichtbaren Kirche. Die sichtbare Kirche ist menschlich,
voller Irrwege und Versagen und geht im Moment doch vielen ziemlich gegen den
Strich, und das aus gutem Grund. Ich glaube aber, dass es auch diese andere
Kirche gibt, die Unsichtbare, die sich nicht in roten oder purpurfarbenen
Gewändern, Hierarchien und Machtstrukturen manifestiert. Diese unsichtbare
Kirche scheint auf, wenn Menschen sich zum Gebet versammeln, das Brot teilen und
den Wein; sie scheint auf, wenn Menschen einander Zuwendung schenken, sie
scheint auf in tausend kleinen und großen Zeichen und Gesten, wenn wir einander
ansehen als das, was wir sind: Gottes Ebenbild. Wo wir am Reich der
Gottesherrschaft mit bauen. Und natürlich gibt es dabei Rückschläge. Schließlich
sind wir alle auch Teil der sichtbaren, fehlbaren, menschlichen Kirche. Aber
diese unsichtbare Kirche mit ihrer Wahrheit und ihrer Mitte, Jesus Christus, ist
der Grund, warum ich noch dabei bin und dabei bleibe.
Und auf die Frage "where can we find
light", wo finden wir Licht, gibt Amanda Gorman eine einfache Antwort.
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"For there is always light.
If only we're brave enough to see it.
If only we're brave enough to be it."
"Denn immer ist da Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
nur mutig genug, es zu sein."
Das Licht dieser Kirche, das Licht dieser
Welt, sind wir. Wir, die wir hier sitzen und zusammen beten, wir, die Menschen,
die wie schon zu allen Zeiten um ihren Glauben ringen, jeder und jede Einzelne
von uns. Wenn wir nur den Mut haben, das Licht in der unsichtbaren Kirche, in
der Welt, im Anderen zu sehen.
Je mehr ich über diesen bitteren Witz aus
der WhatsApp-Gruppe nachdenke, desto mehr stellt sich bei mir eine "jetzt erst
recht"-Haltung ein. Das ist nämlich unsere Kirche, und wir sind das Licht dieser
Kirche, wir, jeder und jede einzelne von uns. Es liegt nicht an irgendwelchen
Bischöfen, ob die unsichtbare Kirche Jesu Christi unter einem Scheffel versteckt
bleibt. Die unsichtbare Kirche, das Licht Jesu Christi, die Gemeinschaft der
Gläubigen, das sind wir, das ist unsere Verantwortung und unser Geburtsrecht als
Kinder Gottes. Und wenn wir das annehmen, glaube ich, dass die Kirche als Licht
Jesu Christi überdauern wird. Hoffentlich nicht in der Form, wie sie sich jetzt
zeigt. Aber der Bund Gottes mit ihrem erratischen, irrenden, menschlichen Volk
bleibt, und die Verheißung auf Vollendung der verwundeten Schöpfung bleibt, und
unsere Sendung, Licht für die Welt zu sein, bleibt.
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Wenn wir nur den Mut haben, das Licht
zu sehen.
Wenn wir nur den Mut haben, Licht zu sein.
Wer, wenn nicht wir?
Text: Mechthild Boos
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